Die Amphoren als Einwegverpackungen für transportierte Lebensmittel sind aus den Debatten über die Wirtschaftsgeschichte der Antike nicht mehr wegzudenken. Herkunft und Inhalt der Behälter lassen sich immer differenzierter bestimmen, wenn auch die Diskussionen weiter zu führen sind. Nun liegt vor uns eine aktuelle Übersicht aus alten und zahlreichen neuen Grabungen (bis 2005) für Nordwestgallien im Raum der Regionen Nord/Pas-de-Calais und Picardie (dank der im Jahr 2000 abgeschlossenen Dissertation von Elise Marlière) und Haute-Normandie (Forschungen von Fanette Laubenheimer). Rund 48'000 Scherben von wenigstens 3500 Amphoren aus 281 ganz unterschiedlichen Fundorten wurden dabei untersucht. Leider fehlt ein Ortsindex für alle Fundorte.
Der chronologische Rahmen ist weit gefasst; die Spätlatènezeit (rund 15% des Corpus, dominiert von Dressel 1) wird nur kurz zusammengefasst und mit einer Verbreitungskarte illustriert. Hervorgehoben sei der Nachweis von Lamboglia 2; das bisherige Fehlen oder die Seltenheit in Zentral- und Nordgallien geht in erster Linie auf die im Nordwesten mangelnde Kenntnis der in diesem Raum eher seltenen adriatischen Fabrikate zurück.
Das Augenmerk liegt auf den kaiserzeitlichen Produkten. Sie werden nach Inhalt, Herkunft und Formen mit kurzen Kommentaren zu den Fundorten und Karten vorgestellt, darunter auch nordgallische, regional produzierte und verbreitete «Amphoren» wie die Gauloise 12 und 13 (Fig. 14; s. ferner die Abschnitte über die regionalen gallischen Produktionen), bei denen sich weiterhin die Frage stellt, welche als verhandelte Transport- oder welche als Vorratsbehälter dienten (dazu jetzt M. Poux/J. P. Brun/M. L. Hervé-Monteil [dir.] La vigne et le vin dans les Trois Gaules. Gallia 68, 2011, fasc. 1,). Selbstverständlich wird auch die Frage der Fässer erläutert.
Nebst den zahlreichen gängigen Importen — mit denen die relevanten Teile der Wirtschaftsgeschichte geschrieben werden — fallen einige Raritäten auf , so eine Late Roman Amphora 4 aus Amiens für vinum Gazetum (S. 48). Bei einem Fragment aus Arras (S. 349) aus einem Kontext des 4. Jh. handelt es sich jedoch keineswegs um die norditalische, früh- bis mittelkaiserzeitliche Form Schörgendorfer 558, sondern um eine kleine, wohl östliche Amphore des späteren 3. Jh. aus der variantenreichen Gruppe der unter Chalk 6 zusammengefassten Behälter (ein weiteres Exemplar S. 77 sowie — ebenfalls aus Nordgallien — in: Acta RCRF 36, 482, fig. 3. Abingdon). Ein ausführlicher Katalog der Graffiti und Stempel sowie der Pinselaufschriften gibt eine gute Übersicht über die epigraphischen Elemente.
Ein eigener Abschnitt gilt den Amphoren aus Gräbern (S. 79–94), in dem erfreulicherweise Fotos und Zeichnungen von Funden aus reichen Gräbern von St-Nicolas-lez-Arras figurieren aus der Spätlatène- und frühen Kaiserzeit. Das kurze Fazit (S. 99f.) betont zu Recht die Konzentration der diversen Waren auf die städtischen Siedlungen. Im Vergleich mit Hauptstädten wie Mogontiacum oder wie mit Augusta Rauracum fallen die Zahlen zwar ab, aber man darf dankend unterstreichen, dass jetzt aus Nordwestgallien, trotz erst kurzer moderner Grabungstätigkeit, durch die Arbeit der beiden Autorinnen ein ansehnliches Corpus für die weitere Forschung vorliegt.
Zitierweise:
Stefanie Martin-Kilcher: Rezension zu: Fanette Laubenheimer et Elise Marlière, Echanges et vie économique dans le Nord-Ouest des Gaules. Le témoignage des amphores du IIe siècle avant J. C. au IVe siècle après J. C. Presses universitaires de Franche-Comté. Dijon 2010. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 95, 2012, S. 233.